Fonds Sexueller Missbrauch | keine Bewilligung von Erstanträgen mehr

Der Fonds Sexueller Missbrauch (FSM) teilte am 24.06.2025 auf seiner Website mit, dass keine neuen Erstanträge bewilligt werden. Dieser Beschluss gilt rückwirkend seit dem 19.03.2025. Erstanträge, die vor dem 19.03.2025 gestellt wurden, werden nur bearbeitet, wenn diese vollständig sind (z.B. Angaben zu gewünschten Leistungen).

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Auch Überlebenden interpersoneller Gewalt (sexualisierte, körperliche, psychische Gewalt) muss es ermöglicht werden, ein Leben in Sicherheit und Freiheit zu führen, das eine menschenwürdige Qualität bietet. Das ist Aufgabe des Staates.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Artikel 2 
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Es ist Aufgabe des Staates, seine BürgerInnen vor Gewalttaten zu schützen. Kann der Staat Gewalttaten nicht verhindern, ist es seine Pflicht, Menschen, die Opfer von Gewalt wurden und eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, bei der Bewältigung der Folgen zu unterstützen, z.B. mit finanziellen Mitteln für medizinische Behandlungen.

Soziales Entschädigungsrecht (SER, SGB IVX)
Menschen, die durch ein schädigendes Ereignis, für das die staatliche Gemeinschaft eine besondere Verantwortung trägt, eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, werden bei der Bewältigung der dadurch entstandenen Folgen nach § 1 Abs. 1 SGB XIV durch Soziale Entschädigung unterstützt. Dem liegt u.a. der Gedanke zugrunde, dass die staatliche Gemeinschaft solidarisch für die Geschädigten eintreten soll, die von Täter*innen keinen entsprechenden Schadensersatz erhalten.
Sexualisierte
Gewalt, häusliche Gewalt und Menschenhandel können eine Gewalttat im Sinne des Kapitel 2 Unterabschnitt 1 SGB XIV und damit ein schädigendes Ereignis darstellen (§ 1 Abs. 2 SGB XIV) und Ansprüche nach dem SGB XIV begründen. Das Vorliegen eines schädigenden Ereignisses ist die Grundlage jedweder Entschädigung nach dem SGB XIV. Ein schädigendes Ereignis kann zeitlich begrenzt, wiederkehrend oder über einen längeren Zeitraum einwirkend gewesen sein (§ 1 Abs. Abs. 3 SGB XIV).

Der Fonds Sexueller Missbrauch (FSM) wurde eingerichtet, um Menschen, die sexualisierte Gewalt erlitten haben, finanzielle Hilfen für Maßnahmen bereitzustellen, die geeignet sind, die Folgen der erlebten Gewalt zu gelindern oder zu bewältigen. Das betrifft in besonderem Maße die Finanzierung von Traumatherapien.

Der Fonds Sexueller Missbrauch wird zum 31.12.2028 eingestellt.
Hilfeleistungen werden nur noch in Jahrestranchen ausgezahlt, wodurch Traumatherapien mit wöchentlichen Therapiestunden teilweise nicht mehr möglich sind.
Die Bearbeitungszeit von Anträgen hat sich seit Jahresbeginn auf mehr als das Doppelte verlängert und liegt aktuell bei 8 Monaten. Tendenz steigend.
Honorarabrechnungen von TraumatherapeutInnen werden wieder nur mit mehrmonatiger Verspätung beglichen.
Und jetzt das. Der FSM stellt die Bearbeitung von Erstanträgen rückwirkend zum 19.03.2025 ein, obwohl der FSM noch im März 2025 versicherte, dass noch bis zum 31.08.2025 Erstanträge gestellt werden können. (Links s.u.)

Für schwer traumatisierte Menschen haben diese Entscheidungen entsetzliche Folgen.
Komplex traumatisierte Menschen kämpfen sich oft weit über ihre Belastungsgrenzen hinaus durch ihren Alltag. Sie telefonieren sich die Finger wund auf der Suche nach einem Therapieplatz, den sie auch nach jahrelangen Anstrengungen nicht erhalten. Sie haben weder Zeit noch Kraft, jahrelange Kämpfe für eine Anerkennung nach OEG/SER durchzufechten. Sie ertragen Entwertungen und Ignoranz und sie warten und warten und warten auf Hilfe.
Währenddessen chronifiziert ihre komplexe traumabezogene dissoziative Störung zunehmend mehr. Währenddessen erleiden sie Retraumatisierungen infolge ihrer nicht behandelten Traumatisierungen.

Menschen mit komplexen traumabezogenen dissoziativen Störungen brauchen Anerkennung ihrer Leiden als an ihnen begangenes Unrecht durch unsere Gesellschaft. Sie brauchen respektvollen Umgang mit ihnen durch MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen und staatlichen Organisationen.
Sie brauchen zeitnahe und bedarfsgerechte traumatherapeutische Behandlung. Sie brauchen verlässliche Zusagen für die Kostenübernahme von Traumatherapien mit Stundenkontingenten von mehreren hundert Therapiestunden.

Die Einstellung des Fonds sexueller Missbrauch sowie die drastischen Leistungseinschränkungen, teilweise rückwirkend beschlossen, ignorieren den durch vielfache wissenschaftliche Studien belegten Behandlungsbedarf von Menschen mit komplexen traumabezogenen dissoziativen Störungen und sie missachten die Menschenwürde von psychisch schwer verletzten Menschen.

Ein Nachfolgemodell des FSM mit einem niedrigschwelligen Zugang und gesicherter Finanzierung von Traumatherapien mit wöchentlichen Therapiestunden für eine Laufzeit von wenigstens 3 Jahren (bzw. 6 Jahre Laufzeit bei 14-tgl. Terminen) durch TraumatherapeutInnen mit und ohne Approbation ist für komplex traumatisierte Menschen überlebenswichtig.
Für die traumatherapeutische Behandlung von Menschen mit partieller und vollständiger dissoziativer Identitätsstörung muss ein darüber hinausgehendes Stundenkontingend von zusätzlich wenigstens 2 Jahren (bzw. 4 Jahre bei 14-tgl. Terminen) unkompliziert beantragt und schnell bewilligt werden können.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Es wird Zeit, dass Überlebende interpersoneller Gewalt endlich einen menschwürdigen Umgang mit ihnen durch den Staat erfahren.


zum Weiterlesen:

Änderungen beim EHS – Fonds Sexueller Missbrauch (24.06.2025)

Änderungen beim Ergänzenden Hilfesystem – Fonds Sexueller Missbrauch (12.03.2025)

Bearbeitungsstände – Fonds Sexueller Missbrauch


Fonds Sexueller Missbrauch | Abschaffung droht – Initiative Traumanetzwerk (15.06.2024)

Fonds Sexueller Missbrauch | Dreijährige Abrechnungsfrist für bewilligte Leistungen – und die Folgen für traumatherapeutische Behandlungen – Initiative Traumanetzwerk (10.08.2024)

Fonds Sexueller Missbrauch wird abgeschafft – mit einer Stellungsnahme zu: sexualisierte Gewalt als strukturelle Gewalt – Initiative Traumanetzwerk (17.03.25)


OEG | Das Opferentschädigungsgesetz – blog-gestalttherapie-luebeck (12.01.2023)

OEG | Neuregelung: Soziales Entschädigungsrecht SGB XIV – blog-gestalttherapie-luebeck  (21.06.2023)


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