Der Haushaltsausschuss des Bundestags streicht die finanziellen Mittel für den Fonds Sexueller Missbrauch (FSM) ab 2026.
Obwohl es im am 09.04.2025 vorgestellten Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung auf Seite 100 heißt: „Den Fonds Sexueller Missbrauch und das damit verbundene Ergänzende Hilfesystem führen wir unter Beteiligung des Betroffenenrats fort.“ und entgegen der Zusage des FSM vom 12.03.2025, dass Auszahlungen von bewilligten Leistungen bis 31. Dezember 2028 vorgenommen werden können, werden bereits zugesagte Leistungen für 2026 ersatzlos gestrichen.
Die Folgen? Laufende Traumatherapien müssen abrupt abgebrochen werden oder können gar nicht erst beginnen. Das ist eine Katastrophe für die Betroffenen. Die dadurch verursachten Schädigungen werden gravierend sein.
Und wiedereinmal erfahren Betroffene und BehandlerInnen aus der Presse, dass getroffene Zusagen gebrochen werden. Auch jetzt kein Wort über die plötzliche Streichung der Finanzierung von Traumatherapien und anderen Hilfen auf der Website des FSM. (Stand 21.11.2025)
Rückblick (Links s.u.)
07/2024 – Dreijährige Abrechnungsfrist für bereits bewilligte Leistungen wird beschlossen
→ Laufende Traumatherapien können nicht mehr sachgerecht durchgeführt werden. Finanzierung von Assistenzhunden ist nicht mehr möglich.
03/2025 – Einstellung des FSM zum 31.12.2028 wird beschlossen
→ Erstanträge können noch bis zum 31. August 2025 eingereicht werden.
06/2025 – Erstanträge werden nicht mehr bearbeitet
→ Der Beschluss gilt rückwirkend zum 19.03.2025.
Frühjahr/Sommer 2025 – Betroffene mit Bewilligungen vor Ende 2024 erhalten ein Schreiben vom FSM: Auszahlung bewilligter Leistungen nur noch bis 10/2027 möglich
→ Laufende Traumatherapien können nicht mehr wie geplant durchgeführt werden. Eingeplante Therapiestunden verfallen ersatzlos.
11/2025 – Bewilligte Leistungen werden ab 01/2026 nicht mehr bezahlt
→ Erzwungene Therapieabbrüche infolge der Streichung bereits bewilligter Finanzierung von Traumatherapiestunden führen zu Retraumatisierungen.
Chronische interpersonelle Traumatisierungen sind immer auch Bindungstraumatisierungen.
Überlebende körperlicher, sexualisierter und psychischer Gewalt wurden nicht gesehen, nicht gehört, nicht respektiert. Sie wuchsen auf mit ebenso plötzlichen wie exisistenziell bedrohlichen Verhaltensänderungen ihrer Bezugspersonen. Regeln waren unberechenbar. Versprechen wurden gebrochen. Niemand half.
Menschen mit komplexen traumabezogenen Störungen gehen in eine Traumatherapie mit der tief verwurzelten Furcht, ihre TherapeutIn wird sich verhalten, wie alle Menschen es in ihrem bisherigen Leben taten. Die Angst, „Meine TherapeutIn wird mich rausschmeißen, ganz plötzlich, jederzeit kann sie das tun.“, erschwert den Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Allianz ganz erheblich. Für derart tief verletzte Menschen ist es eine Herkulesaufgabe, die schier übermenschliche Kraft, Ausdauer und große Anstrengung erfordert, langsam, Schritt für Schritt, Beziehung zu ihrer TherapeutIn wachsen zu lassen, um sich auf die therapeutischhe Arbeit einlassen und die Folgen von Gewalt- und Bindungstraumatisierungen überwinden zu können.
Obwohl sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet hat, den Fortbestand des FSM zu sichern, stampft sie ihre Zusicherungen ein. Die Verantwortlichen ignorieren ein breites Bündnis von Fachleuten und Verbänden, das sich für die Fortführung des FSM einsetzt, ebenso wie Petitionen und ein Rechtsgutachtens, das zum Ergebnis kommt, dass der FSM rechtskonform weitergeführt werden kann. (Links s.u.)
Der FSM wurde 2013 eingerichtet für eine niedrigschwellige Unterstützung von (früh-)kindlich traumatisierten Menschen und wurde bis zuletzt von PolitikerInnen als absolut notwendig und verlässlich beworben.
Jetzt erleben die Betroffenen wieder einmal, dass sie mit ihren Leiden ignoriert und Versprechen gebrochen werden. Diesmal ist es der Staat, der tief verletzte Menschen in eine existentiell bedrohliche Situation bringt, indem, entgegen aller Beteuerungen, lebenswichtige traumatherapeutische Unterstütung entzogen wird und sie allein lässt mit den Folgen ihrer Verwundungen.
Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen steigt kontinuierlich an. (Link s.u.)
Die Anzahl der erfassten Sexualdelikte gegen weibliche Opfer stieg 2024 um 2,1 % an, die Hälfte davon war zum Tatzeitpunkt minderjährig. 2024 erfasste die Kriminalstatistik 308 Femizide, also Tötungen von Frauen und Mädchen, weil sie Frauen bzw. Mädchen sind.
Sexualisierte Gewalt ist strukturelle Gewalt. Während der Bedarf an fachgerechten traumatherapeutischen Behandlungen schon allein durch die belegte gravierende Zunahme von sexualisierter Gewalt stetig steigt, stiehlt sich die Bundesregierung aus ihrer Verantwortung. Die Kosten für Traumatherapien werden durch beständig anwachsende sexualisierte Gewalt ohnehin weiter steigen. Das zu ignorieren, bedeutet nicht nur vermeidbares zusätzliches Leid, sondern auch vermeidbare Steigerungen von Straftaten billigend in Kauf zu nehmen.
Retraumatisierungen durch erzwungene Abbrüche laufender FSM-finanzierter Traumatherapien erhöhen darüberhinaus den zukünftigen Bedarf an zusätzlichen Traumatherapiestunden für die Behandlung dieser Revictimisierung ganz außerordentlich.
Die Verantwortlichen sollten sich bewusst machen, dass die Entscheidungen bzgl. der Einstellung des FSM und der Streichung zugesagter Mittel zur Therapiefinanzierung, dazu führen werden, dass davon betroffene chronisch traumatisierte Menschen voraussichtlich wenigstens ein bis zwei Jahre zusätzliche Traumatherapie benötigen werden, um die neuerlichen Traumatisierungen heilen lassen zu können.
Ob rechtskonforme Fortführung des FSM oder Einrichtung eines Nachfolgemodells, die Lösung des Problems muss schnell kommen. Und es muss allen Beteiligten klar sein, dass das Budget für traumatherapeutische Behandlungen von komplexen traumabezogenen Störungen durch (frühe) interpersonelle Gewalt sehr deutlich aufgestockt werden muss. Das ist die Aufgabe unserer Regierung.
zum Weiterlesen:
Keine Fortfühung des Fongs Sexueller Missbrauch – Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (UBSKM)
Haushaltsausschuss streicht Mittel für den Fonds Sexueller Missbrauch – Unabhängigen Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs
Offener Brief: BKSF und breites zivilgesellschaftliches Bündnis fordern die Absicherung des Fonds Sexueller Missbrauch – Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF)
Fonds Sexueller Missbrauch: Entscheidung des Haushaltsausschusses „macht fassungslos“ – WEISSER RING Magazin
Aktuelle Meldungen – Fonds Sexueller Missbrauch
Straftaten gegen Frauen und Mädchen nehmen weiter zu – Häusliche Gewalt auf Höchststand – Bundesministerium des Inneren, Pressemitteilung (21.11.2025)
Fonds Sexueller Missbrauch | Dreijährige Abrechnungsfrist für bewilligte Leistungen – und die Folgen für traumatherapeutische Behandlungen – Initiative Traumanetzwerk (10.08.2024)
Fonds Sexueller Missbrauch wird abgeschafft – Initiative Traumanetzwerk (17.03.2025)
Fonds Sexueller Missbrauch | keine Bewilligung von Erstanträgen mehr – Initiative Traumanetzwerk (03.07.2025)
Rechtsgutachten zur Weiterführung des Fonds Sexueller Missbrauch – Initiative Traumanetzwerk (20.10.2025)