Statement des Betroffenenrates zum Umgang mit Ritueller Gewalt

Der Betroffenenrat beim UBSKM hat eine Stellungsnahme zum Umgang mit Ritueller Gewalt herausgegeben. An dieser Stelle werden Auszüge der Stellungnahme vorgestellt. Auf der Website des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) finden Sie die vollständige Stellungnahme des Betroffenenrats.

Der Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) ist ein politisches Gremium, deren Mitglieder alle selbst sexualisierte Gewalt in den unterschiedlichsten Kontexten erlebt haben und seit Jahren auch beruflich und/oder ehrenamtlich zu diesem Thema arbeiten. Die ehrenamtlich tätigen Mitglieder des Betroffenenrates setzen sich dafür ein, dass die Belange möglichst vieler Betroffener auch auf Bundesebene Gehör finden und öffentlich gemacht werden.

Auszüge: Statement des Betroffenenrates zum Umgang mit Ritueller Gewalt

„Die unendliche Geschichte:
Rituelle Gewalt und die Unfähigkeit, den Betroffenen zu glauben

[…] Behauptungen, Rituelle Gewalt existiere nicht, verbreiten sich nicht zufällig immer wieder. Wer diese Behauptungen streut, bewegt sich in einer Tradition: Die False-Memory-Syndrome-Foundation (FMSF) wurde 1992 in den USA von Personen gegründet, die der sexualisierten Gewaltausübung beschuldigt waren, und ihren Bezugspersonen. Sie hatte und hat zum Ziel, möglichst flächendeckend die These zu verbreiten, dass Erinnerungen an sexualisierte Gewalterfahrungen in der Kindheit meistens erfunden seien. Diese Behauptung steht in einer Argumentationslinie mit dem Vergewaltigungsmythos der häufigen Falschanzeigen nach Vergewaltigungen, der ebenfalls die Verhältnisse verkehrt (vgl. Sanyal 2016). Allerdings argumentiert die FMSF perfider: Nicht „rachsüchtige Exfrauen“ werden als Täter_innen identifiziert, sondern Psychotherapeut_innen, die den verwirrten Betroffenen die Gewalterfahrungen einreden würden. Dass die FMSF gerade zu Beginn aktiv von Personen unterstützt wurde, die unter anderen in Täter_innenmagazinen publizierten, überrascht nicht (vgl. Armstrong 1996). […]

Die „wissenschaftliche Fundierung“ der Argumente der False-Memory-Syndrome-Foundation (FMSF) bedarf einer kritischen Beobachtung.

Betrachtet man die wissenschaftlichen Ergebnisse, die die FMSF heranzieht, fällt auf: Untersucht werden in den betreffenden Arbeiten meistens nicht Gewalttaten, sondern die mediale Berichterstattung über Rituelle Gewalt. Es geht also inhaltlich um etwas anderes. Daraus wird bisweilen geschlussfolgert, dass Rituelle Gewalt nur als Gefahrendiskurs existiert und/oder als „Hexenjagd“-Phänomen (vgl. z. B. Lynch 2005) wohl irgendeinen gesellschaftlichen Zweck erfülle. […]

Was vor allem regelmäßig in derartigen Publikationen übersehen wird, ist, dass das Argument „aber es gibt keine Verurteilung wegen Ritueller Gewalt“ hinfällig ist. Es gab und gibt eine Vielzahl von Verurteilungen wegen sexualisierter Gewalt im Zuge von Prozessen, die unter dem Schlagwort „Rituelle Gewalt“ medial als „Hexenjagd“ dargestellt worden sind (vgl. Richardson 2015: 82). Auf dem „Infoportal Rituelle Gewalt“ (www.infoportal-rg.de) werden inzwischen nach und nach Fälle gesammelt, in denen Elemente Ritueller Gewalt deutlich geworden sind. […]

Warum folgen Menschen bereitwillig der Behauptung, bei Ritueller Gewalt handele es sich um eine Verschwörungstheorie?

Eine Antwort wird sicherlich sein, dass es im deutschen Sprachraum noch an akademisch anerkannter Forschung zu Ritueller Gewalt als tatsächlicher Gewaltausübung mangelt. Die vermutlich naheliegendere Antwort ist aber, dass es bei Ritueller Gewalt um widerwärtige Gewalttaten geht, die niemand wahrhaben möchte: […]

Die Täter_innen versuchen oft, auch finanziellen Gewinn neben der persönlichen Befriedigung durch die Gewaltausübung zu erlangen. Auch das ist nicht neu und unbekannt: Bei jedem erfolgreichen Ermittlungsverfahren gegen international organisierte Online-Plattformen, auf denen Videos und Bilder von sexualisierter Gewalt getauscht und gehandelt worden sind, wird sichtbar, in welchen ungeheuren Ausmaßen Gewinn mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gemacht wird.

Täter_innen suchen sich eine „überirdische“ Rechtfertigung oder Begründung für die sexualisierte Gewalt, an die Kinder und Jugendliche (und vielleicht die Täter_innen selbst) glauben. Das ist ganz und gar nicht neu: Die Täter_innen aus der katholischen und der evangelischen Kirche haben, den ehemaligen Opfern zufolge, häufig den christlichen Glauben instrumentalisiert, um ihre Opfer einzuschüchtern. Oder, um ihnen weiszumachen, die Gewalt sei der Wille einer höheren Macht. Die Täter_innen aus reformpädagogischen Kontexten haben ihr Handeln gegenüber sich, den Opfern und anderen damit rechtfertigen wollen, sie würden im Geiste der Natürlichkeit handeln. Rituelle Gewalt wird beispielsweise im Rahmen faschistoider, germanischer Ideologien oder satanistischer Glaubenssysteme ausgeübt. Das wirkt deutlich bizarrer, weil diese Ideologien und Glaubenssysteme nicht im Alltag auftauchen. Aber der Mechanismus dahinter ist der Gleiche: Rechtfertige dein Handeln. Und je bizarrer und inszenierter Gewaltausübung stattfindet, desto absurder klingen die Berichte der ehemaligen Opfer. […]

Vielleicht stößt die FMSF deshalb noch auf so große Akzeptanz mit ihren Behauptungen, weil Rituelle Gewalt oft viele bekannte Phänomene im Zusammenhang mit Gewalt und Täter_innenstrategien in sich vereint?

Rituelle Gewalt ist eine Form (auch) sexualisierter Gewalt, die bedeutet, dass es intelligente, organisationsfähige und psychologisch beschlagene Täter_innen gibt. Auch das ist nicht neu. Die katholische Kirche verschiebt hochkompetent seit Jahrzehnten Priester, die als Täter aufgefallen sind, von einem Staat in den nächsten. […] Die Gruppen, die Rituelle Gewalt ausüben, sind kleiner und weder gut sichtbar noch transparent. Das ist es wenig verwunderlich, wenn das Ziel der Organisation in der Ausübung von Straftaten besteht.

Auch wenn ein solcher Organisationsgrad von Tatausübung und Täter_innenschutz nicht neu ist, kann er erschrecken.

Wer in einer dicht besiedelten Großstadt lebt, möchte nicht beim Abendessen daran denken, dass in der eigenen Straße eines der Kinder, die morgens an der Bushaltestelle auf den Schulbus warten, sexualisierte Gewalt erlebt. Obwohl das rein statistisch zu erwarten ist, wenn Sie nicht in einer sehr kurzen Straße oder einem Stadtteil ohne Kinder wohnen. Die Vorstellung, dass sich Erwachsene auch noch zusammentun, um gemeinsam und sorgfältig geplant und inszeniert Gewalt auszuüben, ist vielen Menschen unerträglich.

Das Problem ist, dass Rituelle Gewalt nicht weniger wird, wenn nur genug Menschen den sorgfältig konstruierten Argumentationslinien der FMSF folgen. Rassistische Gewalttaten verschwinden auch nicht, nur, weil niemand bereit ist, sie offiziell als rassistisch zu bezeichnen. […]

Was es inzwischen seit Dekaden gibt, ist Hilfe durch diejenigen, die selbst aus eigener Erfahrung wissen, dass Rituelle Gewalt existiert. Die Selbsthilfe trägt dazu bei, dass im öffentlichen Diskurs mehr als die wilden Theorien der FMSF bleiben und neben den Stimmen professioneller Helfer_innen auch die der Überlebenden Ritueller Gewalt zu hören sind. Vor allem aber unterstützt die Selbsthilfe dabei, dass jemand, der Rituelle Gewalt erlebt hat, eine Überlebenschance hat. Selbsthilfe, wie sie z. B. durch den Verein Lichtstrahlen Oldenburg e. V. angeboten wird. Die dadurch vorhandenen Vernetzungsmöglichkeiten bieten Überlebenden die Möglichkeit, eigene Interessen nach außen zu vertreten und die eigenen Fähigkeiten zu erkennen. Die professionellen Beratungsangebote, die im deutschsprachigen Raum zunehmend auch von Betroffenen für Betroffene zur Verfügung gestellt werden, wie beispielsweise durch die Traumafachberaterin und Psychotherapeutin (Heilpraktikergesetz) Sabine Weber, sind wertvolle Hilfen. Die Notwendigkeit solcher Angebote wird an der hohen Nachfrage deutlich.“


zum Weiterlesen:

Statement des Betroffenenrates zum Umgang mit Ritueller Gewalt – Fachgremium beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (03.07.2018)


 

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